Wolfgang Packeisen, ADP Investment Management AG

Wenigstens in einem Punkt sind sich derzeit wohl alle Politiker, Volkswirte und Analysten einig: Die Sehnsucht nach einer Lösung ist gewaltig. Die Debatte erschöpft alle Beteiligten, die Geduld schwindet und die Gereiztheit wächst. Vor diesem Hintergrund mag sich erklären, warum immer ungehemmter und grobkörniger über vermeintlich große Würfe oder angebliche Schlussstriche diskutiert wird, obwohl derart weitreichende Entscheidungen gar nicht beschlossen werden können (Gerüchte über EU-Sondergipfel, der den Rausschmiss Athens aus der EU absegnen soll). Es wird geflissentlich verschwiegen, dass ein solcher Rauswurf vertraglich nirgendwo vorgesehen ist, schon gar nicht durch irgendeinen Beschluss eines EU-Gipfels, der erfreulicherweise nicht die Machtfülle eines Zentralkomitees oder eines Monarchen hat.

Kapitalismus-Krise?

Die Finanz-Krise wird die Politik zwingen, eine Lösung zu finden, für die es sonst Jahrzehnte gebraucht hätte. Warum? Weil die Alternative ein totaler Zusammenbruch wäre.

In London versucht die Regierung, das Problem wie folgt zu relativieren: konkret musste der britische Steuerzahler den Bankensektor mit rund 1.300 Mrd. Pfund stützen (das sind tausend dreihundert Milliarden! ! ! ), nachdem Institute wie Lloyds Bank und Royal Bank of Scotland (RBS) in einer gefährliche Schieflage waren. Eine britische Regierungs-Kommission stellt diesem Betrag jetzt eine Studie des Baseler Banken-Ausschusses gegenüber, demzufolge Finanzkrisen alle 20 bis 25 Jahre auftreten und durchschnittlich 60% vom GDP kosten. Aufs Jahr heruntergebrochen ergebe sich damit eine Belastung von rund 3% des BIP. Wenn die geplante Banken-Reform mit Kosten von €4-7 Mrd. oder 0,2% vom BIP jährlich die Wahrscheinlichkeit einer neuen Bankenkrise tatsächlich verringert, dann wird die Volkswirtschaft netto enorm entlastet.

Wo also bleibt der rettende Staat?

Der Kursrutsch an den Börsen wird aktuell von den Finanztiteln angeführt, doch die Chefs der Branche kommentieren die Kapriolen mit diskretem Schweigen. Im Bloomberg Europe Banks and Financial Services Index summieren sich die Index-Verluste in diesem Jahr auf mehr als 40%. Nachdem die französische Bankaktien allein in den letzten 3 Tagen fast 30% an Wert verloren haben, liegt die Bewertung der 46 EU-Banken und Finanzdienstleister im Index beim 0,56-fachen des Buchwertes. Investoren fordern gewaltige Abschläge auf die Nettovermögenswerte der Banken. Konkret geht es um mögliche Zahlungsausfälle bei Staatsanleihen, sagen die Analysten um Jeremy Sigee von Barclays Capital in London. Bei einigen Banken impliziert der Kursverlust bereits Abschreibungen auf Staatsanleihen, die gewaltig über den derzeitigen Kurswert hinausgehen. So werden die Aktien der drei größten französischen Banken BNP Paribas, Société Générale und Crédit Agricole auf einem Kursniveau gehandelt, das Barclays zufolge einen Verlust von 100% auf die griechischen, irischen und portugiesischen Anleihen impliziert. SocGen hält nach eigenen Angaben Griechen-Bonds iHv €900 mio sowie unbedeutende Bestände irischer oder portugiesischer Staatsanleihen. Deshalb impliziert diese Aktie laut Barclays Abschreibungen von zusätzlich 100% auf italienische und spanische Staatsanleihen!

Relativer Vergleich:

Selten war die Diskrepanz zum Gewinn-Ausblick zwischen Analysten und Investoren im Dax-Index derart groß. Laut Bloomberg werden die Dax-Firmen in 2012 kollektiv €724 verdienen (+11%). Das entspricht mit einem KGV von 7 dem historisch geringsten jemals verzeichneten Faktor. Bei unveränderten Kursen und einem historischen 5-Jahres-KGV von 15.6 müssten sich die Gewinne auf €331 halbieren.

Mit einem 2012-KGV bei 7 notiert der Dax also billiger als die Börsen von Spanien, Frankreich, Portugal und Irland oder satte 14% unter dem Schnitt des Stoxx Europe 600. Dabei haben die Analysten die DAX-Gewinn-Prognosen für 2012 um 5% gesenkt, für Spanien um 13% und für Italien um 15%.

Absoluter Vergleich:

Ein DAX Anleger erzielt auf der Basis des 2012er KGV eine Rendite in Höhe von 9.1%. Dieser Wert übersteigt die Rendite auf 10-jährige Staatsanleihen um 7,33%, was die höchste jemals gemessene Differenz darstellt und gleichzeitig die absolut höchste Differenz unter den 5 größten Industrie-Nationen.

EU-Bank-Vergleich 2012: das Deutsche Bank KGV für 2012 bei 3.7 ist der historisch geringste jemals gemessen Gewinn-Faktor (Banco Santander 5.3, UniCredito 4.3). Deutsche Bank Vorstand Ackermann hat das Konzern-Gewinn-Ziel von €10 Mrd. für 2010 am 8. September bestätigt, falls die EU-Krise nicht weiter eskaliert.

Themen-Wechsel:

Viele Analysten prognostizieren der Weltwirtschaft den Rückfall in eine Rezession. Schuld daran sei der scharfe Rückgang im Konsum-Vertrauen der Amerikaner seit ungefähr 8 Wochen (Ende Juli / Anfang August).

Gemäß gängiger Theorie hat das Konsum-Verhalten der Nation eine extrem starke Korrelation zum Verbraucher-Vertrauen mit sofortiger Wechselwirkung auf Wirtschaft und Aktienkurse. Tatsächlich fällt der Konsum in Phasen der Rezession und dem geht häufig ein Rückgang im Vertrauen voraus. Trotzdem ist die Korrelation alles andere als linear, denn diesmal zieht der Konsum real an, obwohl das Vertrauen mittlerweile ein historisches Rekord-Tief markiert.

Unser FAZIT: Die Vertrauenskrise ist politisch motiviert, nicht wirtschaftlich!


 

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