Von Michael Schultz - Berlin, Seoul, Beijing

Unabhängig davon, wie sich die Konjunktur darstellt, mit ihren oft kaum rational erfassbaren Trends und Wendungen, erfreut sich der Markt für zeitgenössische Kunst andauernder guter Nachfrage, was zum Teil durch steigende Nachfrage aus dem Pazifikraum gestützt wird. Asien als Wachstumsmarkt auch für Kunst steht gut da, und auch deshalb hat eine neue Messe wie die Art Stage Singapur als Drehkreuz der Märkte Erfolg. Das Rekordjahr 2011, in dem für 8,6 Milliarden Euro Kunst versteigert wurde (ein Plus von 21 Prozent gegenüber 2010; Quelle: artprice.com), war auch wieder ein Rekord für China. Das Mittelreich konnte 38 Prozent Umsatzsteigerung und einen Marktanteil von 41,4 Prozent verbuchen. Die USA kamen „nur“ auf 23,5 Prozent, das Vereinigte Königreich auf 19,3 Prozent Marktanteil. Der Tag dürfte nicht fern sein, an dem China allein mehr Marktanteil erreicht als die USA und das UK zusammen. Besonders wichtig dabei erscheint, dass der Handel im oberen Preissegment des Kunstmarkts stärker denn je erblüht.

Das kann nur durch die Staatsschuldenkrise negativ beeinflusst werden, denn diese hat nie dagewesene Ausmaße angenommen und könnte auch für den Kunstmarkt ein Risiko darstellen, was jedoch wiederum durch die allfällige Belebung des Kunstmarktes durch die bekannte „Flucht in die (mobilen) Sachwerte“ ausbalanciert wird.

Die zeitgenössische Kunst bleibt von Wirtschaftsproblemen natürlich nicht unberührt. Die Krisen von 1991 und 2008 haben das gezeigt. Aber: Während es nach 1991 mehrere Jahre dauerte, bis das Absinken beendet war und wieder Fahrt aufgenommen wurde, dauerte es 2008 nicht einmal ein Jahr, bis wieder über Rekorde gejubelt werden konnte. Liquiditätsengpässe, die Sorgen wegen möglicher Wertminderungen oder mangelndes Sammler-Interessen bei Weiterverkauf führt zumeist dazu, dass der Genusswert von Kunst von zweckorientierteren Überlegungen in den Hintergrund tritt. In Krisenzeiten könnten Preise theoretisch ins Bodenlose fallen – aber das war in solcher Form weder 1991 noch 2008 der Fall. Besonders nicht im oberen Preissegment. Es gilt die alte Regel ungebrochen: Ganz oben und ganz unten läuft es immer. Natürlich ist, wenn es eng wird, der Markt nicht unbedingt willens, schwache und untypische Werke „durchzufüttern“, und wer nur mit den Ohren statt mit den Augen kauft, wer schlecht beraten wird, tätigt auch schon mal einen Fehlkauf. Das ist aber nicht wirklich ein häufiges Problem.

Kunstwerke im oberen mittleren und im höheren Preissegment – wobei es müßig ist, konkrete Zahlen zu nennen, denn was bei 100.000 Euro hier noch mittleres Segment ist, da aber schon Top, also etwa bei hier Warhol, Lichtenstein & Co. oder dort deutsches Informel – reagieren nicht immer unmittelbar auf Entwicklungen in den der Finanz- und Immobilienmärkten. Früher verging etwa ein halbes Jahr, bevor die Auswirkungen einer Wirtschaftskrise auf die Kunstpreise spürbar wurden. Heute reagiert der Markt quicker, aber eben auch bei Wiederbelebungen, was es wieder ausgleicht. Und manche Segmente ignorieren die Krise komplett (etwa der Blue-Chip-Bereich).

Dennoch: Zwischen Q4 2008 und Q1 2009 brach das Segment für zeitgenössische Kunst um gut 42 Prozent ein. Während sich die Finanzwelt im Anschluss erholte, erreichten die Preise auf dem Kunstmarkt wieder das Niveau von 2007. Nach einem internationalen Rückgang hat sich der Kunstmarkt also sehr schnell wieder erholt. Noch positiver reagierte der Markt im vergangenen Jahr. Im Q3 2011 stürzte beispielsweise der französische CAC 40 um mehr als 20 Prozent ab – ein bis dato ungekanntes Ereignis. Dennoch war gerade das obere Preissegment des Marktes auch für Zeitgenössisches von der Krise nicht berührt, das Gegenteil war der Fall. Zahlreiche neue Anleger und Sammler vor allem aus dem asiatisch-pazifischen und dem arabischen Raum hielten die Preise stabil und die Rekordjagd setzte sich fort.

Die Zahl der Rückgänge auf Auktionen zeitgenössischer Werke ist eine gute Messlatte für das Vertrauen der Kunstmarktteilnehmer. Marktstudien zufolge blieben die Auktionshäuser von Q3 2010 bis Q3 2011 auf weniger als 37 Prozent der Lose sitzen, während es zwischen Q3 2008 und Q3 2009 noch 43 Prozent waren. Wobei zu beachten ist, dass regional typische Unterschiede bestehen. In den großen internationalen Häusern ist eine Rückgangsquote bei alltäglichen Auktionen von um 25 bis 30 Prozent ohnehin üblich, in Deutschland liegt sie um etwa zehn Prozentpunkte höher.

Man kann also eine positive Entwicklung verzeichnen. Aber auch hier muss differenziert werden. Experten sind der Meinung, dass der mittlere Bereich sich als Käufermarkt mit selektiv vorgehenden Sammlern zeigt, der obere Bereich aber ein reiner Anbietermarkt ist, auf dem sich viele Sammler um nur wenige Meisterwerke balgen.

In Lichte stärkerer zyklischer Tendenzen der Finanzmärkte und ihrer Krisen werden Gold und andere Anlage-Alternativen wie Kunstwerke zunehmend attraktiver. Vor allem auf Grund einer deutlich geringeren Volatilität gilt Kunst als vergleichsweise sicherer. Neben Gold hat sich der Kunstmarkt als alternative Anlage durchgesetzt, die gerade im oberen Marktsegment besonders rentabel ist. Zwischen Q3 2010 und Q3 2011stieg auf den großen internationalen Auktionen der Umsatz mit zeitgenössischer Kunst auf 895 Mio. Euro, gegenüber 501 Mio. Euro im Vergleichszeitraum 2009/2010. Im Vergleich zum Zeitraum Q3 2001 bis Q3 2002 war der Umsatz sogar zehn Mal so hoch. Der Grund ist auch die stark gestiegene Nachfrage, denn mittlerweile werden etwa vier Mal so viele zeitgenössische Werke verkauft wie zu Beginn des Jahrtausends. 2011 allein wurden 37.400 zeitgenössische Werke verkauft, was einen historischen Rekord darstellt.

Diese Steigerung wird unter anderem dem wachsenden chinesischen Markt zugeschrieben, Außerdem: In Asien wie in Russland und zunehmend im arabischen Raum ist das Sammeln von Kunst zu einer Statusfrage – bis hin zu einem Lebensstil – geworden. Innerhalb nur eines Jahrzehnts haben sich die Zuschläge in Millionenhöhe verzehnfacht. Wurden zwischen 2000 und 2004 für zeitgenössische Kunst je etwa sechs Zuschläge in Millionenhöhe verzeichnet, waren es zwischen 2005 und 2010 schon 47 (mit Ausnahme der absoluten Boomsaison 2007/2008 mit 120 solchen Zuschlägen). 2011 fiel der Hammer für zeitgenössische Kunst insgesamt 125 Mal bei Summen von über einer Million Euro. Auch das ein historischer Rekord. Noch bis 2000/2005 besaßen Millionenpreise im Bereich des Zeitgenössischen Seltenheitswert. Heute sind sie richtig häufig.

Man kann die positive Entwicklung auch an den (Höchst-) Preisen für bestimmte Künstler belegen. Von Deutschlands Superstar Gerhard Richter (geb. 1932) wurden im Q1 2012 genau 20 Werke (von 22 Angeboten) verkauft, mit einer Zuschlagssumme von rund 33.617.000 Euro (Preise umgerechnet). Das entspricht einem Durchschnittspreis von rund 1,681 Mio. Euro. Vor zehn Jahren, im Vergleichszeitraum des Jahres 2002, gab es elf Angebote und neun Verkäufe. Die Gesamtsumme belief sich auf rund 3.406.400 Euro, was einem Durchschnittspreis von rund 378.000 Euro entspricht. Richters Durchschnittspreis ist innert von zehn Jahren also um knapp das Viereinhalbfache gestiegen. Traumredite ist ein viel zu schwaches Wort.

Mark Rothko ist ein weiteres gutes Beispiel. In der Saison 2011/2012 wurden neun Werke angeboten, davon fünf zur Gesamtsumme von rund 33.270.000 Euro. Durchschnittspreis: 6,654 Mio. Euro. Zehn Jahre zuvor kamen acht Werke zum Aufruf, eines ging zurück, die sieben Verkäufe summierten sich auf rund 7,626 Mio. Euro, was im Schnitt rund 1,089 Mio. Euro bedeutet. Rothko hat innerhalb von zehn Jahren seinen Durchschnittspreis etwa versiebenfacht.

Abschließend ein Name aus dem mittleren Bereich, Christian Boltanski (geb. 1944). Von ihm gab es 2011 neun, sämtlich verkaufte, Angebote. Verkaufssumme: 421.000 Euro, macht im Schnitt 46.800 Euro. 2001 hatte es 17 Angebote, aber nur neun Verkäufe zu insgesamt rund 191.400 Euro, also im Durchschnitt rund 21.266 Euro. Also auch in dieser Preisspanne eine Steigerung um mehr als das Doppelte.

Das sieht alles sehr einfach auch und ist es vom Prinzip her auch. Der Teufel im Detail: Was soll man kaufen? Zu dieser Frage kann man nur sagen: Man lässt sich von dem Galeristen seines Vertrauens beraten. Vertrauen ist die Basis des Geschäfts. Gerade bei solch „hehren“ Werten wie Kunst.