Autofahrer reiben sich entzückt die Hände. So günstig wie derzeit waren Benzin und Diesel schon lange nicht mehr. Inzwischen hat der Ölpreis allerdings ein Niveau erreicht, das mittel- bis langfristig zu massiven geopolitischen Problemen und erheblichen Verwerfungen an den Kapitalmärkten führen kann.

In den vergangenen eineinhalb Jahren ist der Preis für ein Fass Rohöl (159 Liter) von 110 US-Dollar um 70% auf zuletzt weniger als 33 US-Dollar abgestürzt. Hiervon profitieren derzeit insbesondere die rohölimportierenden Industriestaaten Deutsche Verbraucher können ihre Kraftstoff- und Heizkosten deutlich senken und die freiwerdenden Mittel für den Kauf anderer Konsumgüter nutzen. Wegen der großen Bedeutung für energieintensive Bereiche, angefangen vom Transportwesen generell, bis hin zur Chemie sowie dem Automobil- und Maschinenbau, profitiert aber auch die deutsche Wirtschaft insgesamt vom billigen Öl. Zwar fallen die Effekte wohl lange nicht so stark aus, wie dies von vielen Ökonomen prognostiziert wurde, dennoch stellt der drastische Preisverfall beim „schwarzen Gold“ einen positiven Angebotsschock dar, dessen Auswirkungen einem nicht durch Staatsmittel finanzierten Konjunkturprogramm gleichkommen. Das wird allerdings nur so lange gelten, wie es zu keinen größeren Verwerfungen und negativen Kettenreaktionen an den Finanzmärkten kommt, was keineswegs auszuschließen ist.

Pleitewelle voraus?

So geraten die Ölförderer, und hier insbesondere solche, die mit der teuren Fracking-Technik arbeiten, immer stärker unter Druck. Nach den Aktienkursen haben inzwischen auch ihre hochverzinslichen und risikoreichen Anleihen, um die sich Anleger vor einigen Jahren noch gerissen haben, massiv an Wert verloren. Eine ganze Reihe kleinerer Ausfälle, wie beispielsweise Vantage Drilling Co. mit geschätzten Schulden von 2,8 Mrd. US-Dollar, sind bereits zu verzeichnen. Weitere Pleiten würden nicht nur die jeweiligen Anleihebesitzer, sondern auch die kreditgebenden Banken treffen. So hat die US-Bank Wells Fargo, die 17 Mrd. Dollar an Firmen aus dem Ölsektor verliehen hat, erst kürzlich 1,2 Milliarden Dollar für diesen Fall zurückgestellt. Auch andere Kreditinstitute erhöhen sukzessive ihre Vorsorgen. Andererseits scheint das direkte Engagement der großen Banken in der Energiebranche überschaubar zu sein. So liegt dieser Anteil bei Wells Fargo laut Aussagen des Managements bei lediglich zwei Prozent des Gesamtportfolios. JP Morgan soll sich mit einem Exposure von knapp sechs Prozent unter den vier größten amerikanischen Banken am stärksten im Öl- und Gassektor engagiert haben.

Geopolitische Risiken

Wesentlich gravierender sind deshalb auch die geopolitischen Risiken. So ist die Situation Venezuelas inzwischen so angespannt, dass der Präsident Nicolás Maduro angesichts der immer weiter fallenden Ölpreise den Wirtschaftsnotstand ausgerufen hat. Damit treten umfangreiche Sonderregeln für das heimische Wirtschaftsleben in Kraft. Die Bevölkerung leidet trotz der weltweit größten bekannten Ölreserven unter Engpässen bei der Versorgung mit Waren des täglichen Bedarfs und einer hohen Inflation. Das Land ist praktisch pleite. Sehr schwierig ist die Situation auch für Russland, wo Finanzminister Siluanow ebenfalls vor einem Staatsbankrott wie 1998 warnt. Nicht nur der Staatshaushalt selbst, sondern auch das Wirtschaftswachstum hängen zu einem großen Teil von Rohstoffeinnahmen ab. Das bisherige Grundszenario der Regierung sah bei Preisen von 50 US-Dollar je Barrel ein Wirtschaftswachstum von 0,6% sowie ein Haushaltsdefizit von drei Prozent vor. Bei einem Niveau von 35 Dollar kalkuliert die russische Zentralbank dagegen mit einem Minus beim Bruttoinlandsprodukte von bis zu drei Prozent, wobei inzwischen ja auch dieser Preis unterschritten ist. Gleichzeitig verliert der Rubel drastisch an Wert, was die Inflation befeuert und immer mehr Russen unter das Existenzminimum rutschen lässt.

Nigeria, Afrikas größter Ölproduzent und wirtschaftlich zu 90% vom Öl abhängig, muss zusätzliche Schulden machen. Ähnlich wie in Algerien und Libyen fehlt zudem das Geld für Sozialprogramme. Die sozialen Unruhen könnten sich dadurch weiter verschärfen. Dank relativ geringer Förderkosten und nach wie vor hoher Reserven ist der aktuelle Preiskampf von Saudi-Arabien wohl am längsten durchzuhalten. Aber auch bei den Saudis haben die niedrigen Preise bereits tiefe Löcher in die Staatskasse gerissen. Da für einen ausgeglichenen Haushalt rund 100 US-Dollar je Fass erforderlich sind, könnten die finanziellen Mittel laut Internationalem Währungsfonds (IWF) in vier Jahren gänzlich erschöpft sein. Die Folgen für die Stabilität des Landes, in dem es derzeit auch innenpolitisch stark brodelt, und den gesamten krisengeschüttelten Nahen Osten wagt man sich nicht auszumalen.

Gegenläufige Effekte

Die mit dem Ölpreisverfall verbundenen Risiken und Unsicherheiten sind somit keineswegs zu unterschätzen. Übersehen werden von vielen Auguren allerdings die gegenläufigen Effekte, die sich bei Produktionskosten deutlich oberhalb der Verkaufserlöse mittel- bis langfristig einstellen werden. So wird es in jedem Fall zu deutlichen Investitionskürzungen kommen. Gleichzeitig dürfte eine ganze Reihe von Anbietern – insbesondere im Fracking-Bereich – vom Markt verschwinden, und last but not least könnte der Leidensdruck der OPEC-Länder so groß werden, dass sich das Kartell –möglicherweise auch in Abstimmung mit anderen großen Ölförderstaaten – doch wieder zu einer strikteren Mengen- und Preispolitik durchringt. Auf dem aktuellen Niveau würden die globalen Finanzmärkte diesen Schritt sicherlich mit Erleichterung aufnehmen. Das hätte dann zwar wieder höhere Benzin- und Dieselpreise zur Folge, zumindest die an den Kapitalmärkten engagierten Autofahrer dürften dies jedoch durchaus auch mit einem lachenden Auge sehen.