Norbert Bisky ist einer der führenden Maler seiner Generation. Strahlende Bilder der Jugend und ihrer Abgründe machten ihn berühmt. Die Realität unserer Zeit hat seine Bilder verdunkelt.

Visionr

Visionär, Öl auf Leinwand, 125x100, 2008

Ein Gespräch mit dem Maler über sein Verhältnis zu den Alten Meistern, 9/11, sein Nah-Erlebnis der Terroranschläge in Mumbai und die Verdrängung der DDR-Vergangenheit.

Küchler: Herr Bisky, lassen Sie uns gleich zu Beginn die Klischees abhaken, die immer wieder über Sie zu lesen sind: „Norbert Biskys Bilder werden vor allem und ausschließlich von unserem Außenminister Guido Westerwelle gesammelt.“ Was umso delikater klingt, wenn man bedenkt, dass ausgerechnet Westerwelle die Werke eines Künstlers schätzt, der der Sohn des PDS-Politikers Lothar Bisky ist. Die Medienund der Boulevard lieben solche Pointen. Vermutlich auch deshalb, weil es ihnen zu langweilig erscheint, sich einen Maler nur malend im Atelier vor der Staffelei vorzustellen. Ärgern Sie diese Klischees?

Bisky: Das sind Geschichten, die zehn Jahre alt sind. Keiner von den Leuten, die sich ernsthaft mit meinen Bildern beschäftigen,kommt noch darauf zurück. Westerwelle hat, aler noch nicht Außenminister war, auf einer Kunstmesse ein paar Bilder gekauft. Das ist absolut in Ordnung. Es gibt viele Leute, die große Kunstsammlungen und auch sehr viel mehr Bilder von mir haben. Sie stehen nicht im Mittelpunkt, weil sie keine Politiker sind und sich nicht nach vorne drängeln. Es ist in Ordnung, wenn Politiker Bilder kaufen. Es wird aber ein Problem, wenn sie anfangen, das für sich zu benutzen. Aber ich glaube, diese Phase ist beendet. Insofern ist alles in Ordnung.

Küchler: Gestatten Sie uns einen Gang durch Ihr Atelier. Was steht gerade da? Woran arbeiten Sie?

Bisky: Im Moment stehen zwei sehr große Leinwände bei mir. Sie messen 5 mal 2,80 Meter. Es sind sehr dunkle Bilder, auf denen sich verschiedene Szenen gleichzeitig abspielen. Alle haben mit Zerstörung, Gewalt und Umweltkatastrophen zu tun. Sie sind Versatzstücke der Dinge, mit denen wir jeden Tag bombardiert werden. Ich habe einen großen Tisch auf Rollen, den kann ich in meinem Atelier hin und her schieben. Momentan arbeite ich gerade an einer Serie von Zeichnungen. Mit dem isländischen Schriftsteller Bjarni Bjarnson werde ich ein Kinderbuch machen, auf das ich mich sehr freue.

Küchler: Gibt es bei Ihnen Zeiten ohne Bilder?

Bisky: Ja, klar, die gibt es auch. Das finde ich auch sehr wichtig, um mich selbst zu überprüfen. Wie wichtig ist das mich für mich selbst, was ich mache? Nach einer Pause merke ich allerdings, dass ich unruhig werde. Dann weiß ich, jetzt ist es wieder an der Zeit, ins Atelier zu gehen und weiterzuarbeiten.

Küchler: Wir sind permanent umgeben von Bildern, in der Reklame, im Kino und im Fernsehen. Wir leben in einer regelrecht bilderwütigen Zeit. Woher nimmt man den Mut und auch die Kraft, seine eigenen Bilder dagegenzusetzen?

Bisky: Das ist eine Entscheidung: Ich bin jetzt frech genug und traue mich. Natürlich werden wir mit Bildern bombardiert. Aber das meiste davon sind Bilder zum Wegwerfen. Schon das Zeitungspapier wird nach 14 Tagen gelblich. Die digitalen Bilder sind eigentlich gar nicht vorhanden und werden auch nie ausgedruckt. Maler machen die Bilder, die auch ein bisschen länger bleiben. Wenn ich jetzt ein Ölbild male, hält es 300 bis 400 Jahre. Das ist so eine Qualität, an die müssen andere Bilder erst einmal herankommen. Das macht das Malen interessant. Es ist eine große Herausforderung, mit Zeiträumen anders umzugehen.

Küchler: Sind Bilder stärker als Worte?

Bisky: Ich habe angefangen zu malen, weil ich ein tiefes Misstrauen Worten gegenüber entwickelt habe. Einschneidende Erlebnisse für mich waren der Zusammenbruch der DDR, die Maueröffnung und die Wiedervereinigung. Ich war 19 Jahre alt. Vieles von dem Wortmüll, der mich als Kind umgeben hat, war schließlich wertlos. Was hat mehr Substanz und Gültigkeit über einen längeren Zeitraum? Da war ich sehr schnell bei den Bildern.

Küchler: Was jedem Betrachter Ihrer Gemälde sofort auffällt: Sie sind kraftvoll, dynamisch und vital. Allerdings sind Ihre Bilder in den letzten Jahren deutlich dunkler geworden. In den frühen Bildern überwogen helle Töne, ein leuchtendes Gelb, unterschiedliche Gelbtöne, strahlendes Blau. „Bilder mit Lenor gewaschen“, so haben Sie es mal selber genannt. Und plötzlich erscheint alles eingedunkelt. Die Sujets wirken drastischer, manchmal beinahe apokalyptisch. Wann hat das begonnen, dass Sie in der Farbe Schwarz eine Ausdrucksmöglichkeit für sich entdeckt haben?

Bisky: Das ist ganz einfach. Wenn ich etwas mehrere Jahre mache, dann bin ich irgendwann einfach fertig damit. Manche Künstler haben einen Stil gefunden und ziehen ihn industriemäßig auf. Sie beschäftigen dreißig Assistenten und lassen ihre Bilder in einem Hinterhof in Peking malen. Ich habe sehr früh entschieden, dass ich das nicht möchte. Es ist aufregend, dass ich jeden Tag ins Atelier gehen, alles umschmeißen und komplett neu anfangen kann. Und natürlich passieren in meinem Leben auch Dinge, die meinen Blick auf die Welt verändern. Jetzt verändere ich die Bilder, indem ich einfach andere Farben verwende und das Gegenteil von dem mache, was ich die ganze Zeit gemacht habe.

Küchler: Ganz handwerklich gefragt – wie viele Nuancen hat Schwarz für einen Maler?

Bisky: Früher gab es ja Schwarzfärbereien. Angestellte in den Fabriken konnten bis zu 40 Schwarztönen unterscheiden. Ich glaube, das schaffe ich nicht. Aber es gibt schon eine ganze Menge Mischungen. Sie können ein warmes, bräunliches Schwarz nehmen, Eisenoxid-Schwarz oder Elfenbein-Schwarz, ein bläuliches Schwarz. Wenn Sie dann noch ein wenig Ultramarin hineinmischen, dann bekommen Sie den Farbton des Berliner Himmels, nachdem die blaue Stunde beendet ist. Ein sehr schönes tiefes blaues Schwarz. Und dann gibt es nicht zuletzt Lampen-Schwarz, das ist dann so schwarz wie möglich.

Küchler: Nun trifft Ihr persönliches Empfinden der Farben, der Sujets auf den Betrachter, der mit seinem eigenen Weltbild, seiner eigenen Empfindung auf die Leinwand schaut, der verstehen will, der deuten will, der von Ihnen ein bisschen gelenkt wird durch den Titel eines Bildes. Wen entdeckt der Betrachter in diesen Bildern, sich selbst oder den Maler Bisky mit seinen Obsessionen und Träumen?

Bisky: Ich denke, vor allem sich selbst. Ich habe, wenn ich male, keine Betrachter im Kopf, sondern mich selbst. Ich versuche die Bilder so gut zu machen, wie ich kann und meine eigenen Visionen zu verarbeiten. Das ändert sich, wenn meine Bilder in eine Ausstellung gehen oder in einem anderen Raum hängen. Dann sehen sie manchmal komplett anders aus. Die Besucher kommen wieder mit ihren eigenen Geschichten, mit ihrer eigenen Biografie, mit den Dingen, die sie so im Kopf haben. Ich glaube, zu allererst sind Bilder ein Spiegel, in den man hineinschaut.

Küchler: Was für einen Betrachter wünschen sie sich? Wer wäre für Sie ein idealer Kunstbetrachter?

Bisky: Ich bin mit vielen Regeln und Vorschriften in der DDR groß geworden. Es gab Vorstellungen, was gut und schlecht und nicht sein darf. Deshalb habe ich jetzt so einen Freiheitswahn. Für mich gibt es keinen idealen Betrachter. Ich will, dass Leute sich meine Bilder anschauen und darin etwas entdecken. Dann bin ich glücklich. Ich möchte aber nicht, dass Leute auf meine Bilder schauen und sagen: „Ist mir komplett egal“. Neutrale Gleichgültigkeit, das ist das Schlimmste, was einem Künstler passieren kann.

Küchler: Ihre Berufsbezeichnung ist Künstler. Wann haben Sie begonnen, sich als Künstler zu verstehen?

Bisky: Wenn ich gefragt werde, was ich mache, dann sage ich: „Ich bin Maler“. Und dann, das ist ganz schön in Berlin, werde ich immer gefragt: „Na, und wie? Biste selbständig?“ oder „Haste noch drei Leute für Dich?“ und „Wie ist es auf dem Bau?“. Die Bezeichnung Maler ist mir lieber. Aber es trifft nicht mehr ganz das, was ich mache, weil ich zwischenzeitlich auch viele andere Dinge mache, die nicht viel mit Malerei zu tun haben. Ich verändere Räume und baue Installationen. Insofern ist Künstler ein bisschen klarer.

Küchler: Wie entstehen Titel für Bilder? Titel spielen bei Ihnen eine interessante Rolle. Es gibt ganz lakonische Titel. Es gibt sarkastische Titel. Manchmal fallen sie drastisch aus: „Rotz und Wasser“, „Sputum“, „Virenschleuder“, „Schwarzmaler“. Willkürlich herausgegriffene Titel aus einem ganz großen Kosmos. Wieviel Wort, wieviel Erklärung braucht ein Bild, um verstanden zu werden?

Bisky: Ja, da ändere ich auch meine Meinung jeden Tag. Ich habe irgendwann angefangen, den Bildern Titel zu geben. Einfach weil es eine große Welle in der Kunstwelt ist, dass die Sachen „Untitled“ heißen . Von mir gibt es nur ein oder zwei Bilder ohne Titel. Ich hätte gerne, dass man die Bilder unterscheiden kann. Manchmal ist der Titel schon da, bevor ich den ersten Strich gemacht habe. Dann habe ich eine klare Idee vom Konzept des Bildes. Und es gibt auch Bilder – ich schreibe den Titel immer hinten auf die Leinwand – , auf denen drei, vier Titel durchgestrichen sind. Im Laufe der Geschichte des Bildes ändert sich einfach viermal der Titel. Also, irgendwann gibt es einen Titel und ich sage, der ist es jetzt.

Küchler: Solange es Kunst gibt, solange gibt es vermutlich auch die dümmliche Frage der Philister: „Wie? Das soll Kunst sein?“ Halten Sie es für legitim, dass man mit dieser Frage an ein Kunstwerk herantritt?

Bisky: Ja, das halte ich für legitim. Ich finde es sehr wichtig, dass man an allem zweifelt und die Dinge in Frage stellt. Die Frage erledigt sich allerdings irgendwann. Alles ist möglich. Die Welt ist groß genug. Es ist Platz genug für alle. Gerade in der Kunst geht es darum, Grenzen zu verändern und zu erweitern. Und immer stellt Kunst komplett in Frage und eröffnet eine sehr ungewöhnliche neue Perspektive. Und wenn das eben ein Haufen Nutella auf einem Betonfußboden ist, dann ist das wunderbar und kann ganz großartig sein.

Küchler: 1995 haben Sie in Madrid gelebt. Das war sechs Jahre nach dem Fall der Mauer. Wie sieht man das Eigene aus der Distanz?

Bisky: Das war für mich ein sehr wichtiger Moment. Ich habe ein Erasmus-Stipendium bekommen und bin damit nach Madrid gegangen. Ich war aber länger als ein Jahr in Spanien und bin auch in der Zeit nicht nach Deutschland gefahren. Ich habe die ganze lateinamerikanische Hispano-Kultur für mich entdeckt und Spanisch gelernt. Viele Stunden habe ich im Prado verbracht und dort Goya, Zurbarán und Ribera kopiert. Das ist aber nicht ungewöhnlich. Wenn Sie heute in den Prado gehen, werden Sie dort ständig Kunststudenten sehen, die sich vor die alten Bilder stellen und eine Kopie davon anfertigen. Es hat meinen Blick auf die Malerei verändert und einen Bezug zu dieser großen Maltradition hergestellt. Und es hat auch meinen Blick auf diese ganze deutsch-deutsche Vereinigungssoße verändert. Als ich dann wieder zurückgekommen bin, waren die Leute noch mit der Wiedervereinigung beschäftigt. Das war auch für mich ein Ansatzpunkt. Was gibt es in Deutschland für eine Bildertradition? Was ist hier gemacht worden? Was kommt aufeinander, was trifft mit Ost- und Westmalerei aufeinander? Sicherlich war ich auch angetrieben durch meinen Professor Baselitz. Er hat mich auch sehr bestärkt, mich mit den Bildern meiner Jugend und Kindheit auseinanderzusetzen.

Küchler: Sehr viele der Meisterwerke, die im Prado hängen, haben natürlich einen religiösen Hintergrund. Man kann viele Kreuzigungsszenen und Höllenstürze sehen. Bibelmotive werden dort erzählt. Was sagen Ihnen diese Bilder? Geht es nur um Tradition, um kunstgeschichtliches Wissen? Oder brennt für Sie da noch unglaublich viel Feuer in diesen Bildern?

Bisky: Das ist unsere Kultur. Unser Resonanzboden, auf dem wir uns bewegen. Gerade gibt es wieder so viele neue Diskussionen über das christlich-jüdische Weltbild, auf dem unsere Gesellschaft basiert. Das Leben ist kurz. Und vieles bleibt nicht, wenn man sich überlegt, wie viele Generationen schon vor uns gelebt haben. Wenn man sich die Bilder aus dem Prado anschaut, sieht man wirklich, wo wir herkommen. Und welche Geschichten in unserer Kultur eine Rolle spielen. Da ist sehr viel Religion und Glauben dabei. Wenn Sie sich den „Spiegel“, den „Focus“ oder die „FAZ“ kaufen, und sich die Bilder darin anschauen, dann sehen Sie, die Fotografen arbeiten mit dem gleichen Bildergedächtnis, das auch auf den Bildern im Prado beruht.

Küchler: Glauben Sie, dass Bilder die Spuren der Zeit tragen? Die Spuren der veränderten Lebenserfahrung und des gelebten Lebens? Was für einen Menschen entdecken Sie, wenn Sie sich Ihre frühen Bilder anschauen?

Bisky: Dann frage ich mich manchmal, wer das war. Malerei ist etwas sehr Biografisches. Die meisten Menschen können bestimmte Bereiche ihres Lebens ausblenden. Das kann ich als Maler nicht. Wenn ich jeden Tag oder jede Woche male, dann habe ich mich vielleicht zehn Jahre später komplett verändert, aber meine Bilder sind noch da. Und ich muss mich fragen, was mich damals beschäftigt hat.

Küchler: Sie sind 1970 in Leipzig geboren. Was für ein Bild könnte das sein, das für Ihre Kindheit steht?

Bisky: Ein Bild, das für meine Kindheit steht, ist eine Straße mit Jugendstilhäusern. Die Fassaden sind ziemlich kaputt. Die Wände haben Einschusslöcher. Auf der Straße stehen große alte Platanen, vielleicht auch Akazien. Ein paar Tauben fliegen herum. Wir sind in Leipzig. Alte Gaslaternen werden gerade abmontiert, weil sie für teure Devisen nach Amerika verkauft werden. Ich bin die ersten Jahre in Leipzig sehr behütet aufgewachsen. Meine Wohngegend hatte den Charme verblichener Größe und Eleganz, den Leipzig um die Jahrhundertwende hatte. Viele Innenstädte im Osten sahen verfallen und kaputt aus.

Küchler: Dann ging es irgendwann nach Ostberlin mit der Familie. Sie haben rückblickend gesagt: „Meine musische Erziehung war der 13. Stock in Marzahn. Freier Blick über den Lehmdreck zum Fernsehturm.“

Bisky: Ja, das kann man auch so beschreiben. Marzahn liegt weit im Osten. Wenn man aus dem 13. Stock sieht, schaut man in Richtung Fernsehturm ganz weit in den Westen. Das war ostdeutsches Familienleben. Ich dachte sehr lange, dass es speziell ostdeutsch ist, in einer solchen Siedlung groß zu werden. Inzwischen weiß ich aber, dass Millionen Menschen von Kanada bis Singapur in derartigen Satellitenstädten leben.

Küchler: Gab es Bilder in der Wohnung Ihrer Eltern?

Bisky: Ja, da gab es ein paar Grafiken und Zeichnungen, aber wenig farbige Bilder. Bis heute habe ich eine große Affinität zur Farbe und versuche die besten, schillerndsten, teuersten und brillantesten Farben zu benutzten, die es gibt. Vielleicht weil ich in so einer schwarz-weißen Umgebung groß geworden bin.

Küchler: „Ich habe als Jugendlicher die 1980er Jahre in der DDR als dekadent erlebt und fand das großartig“, haben Sie einmal gesagt. In Ostberlin gab es damals, wenn man Ihnen folgt, so etwas wie eine regelrechte Bohème-Szene. Als Gymnasiast haben Sie zu dieser Szene offenbar auch rasch Zugang gefunden.

Bisky: Ich habe allerdings nicht dazu gehört. Ich habe mich in die S-Bahn gesetzt und bin zum Prenzlauer Berg gefahren. Das war schon eine komplette Parallelgesellschaft. Es gab viele Leute, die um 14 Uhr aufgestanden sind, kurz ein Gedicht geschrieben haben, oder im Café sich darüber unterhalten haben, wie das Bild, das sie nächste Woche malen würden, aussehen könnte. Diese Leute haben ein von jeglichen Zeit und Sachzwängen befreites Leben geführt. Das fand ich wahnsinnig faszinierend. Sie hatten bunte Haare, trugen ein komisches Tuch um den Hals und waren schräge Vögel. Das gab es ansonsten in dieser sehr plattgedrückten, konformistischen Gesellschaft der DDR nicht. Es hat eine extreme Faszinationauf mich ausgeübt.

Küchler: Haben Sie damals schon gemalt oder gezeichnet?

Bisky: Ja, das habe ich. Aber ich habe mich nicht richtig getraut. Ich bin mit jemandem zur Schule gegangen, der wahnsinnig gut zeichnen konnte. Das hat mich eingeschüchtert. Wir sind bis heute gute Freunde. Ich habe aber gedacht, „so gut wie der Oliver kriege ich das niemals hin. Aber ich gebe mir mal Mühe und versuche, das zu lernen.“ Dann bin ich damals zum Ostberliner „Haus der jungen Talente“ gegangen. Da gab es eine Künstlerin, die mich in die Nähe der Friedrichstraße mitgenommen hat. Dort stand ein leeres Haus, das wir in Ateliers umgebaut haben. Das war mein Einstieg in die Malerei.

Küchler: Sie sind 1994 an die Hochschule der Künste gegangen, um dort zu studieren. Sie wollten unbedingt an eine Westberliner Hochschule, „um nicht“, wie Sie mal gesagt haben, „in dem ostdeutschen Mief stecken zu bleiben“. Nun sind Sie aber in den Westberliner Mief geraten. Wie war es denn, salopp gesagt, für einen Ossi in Berlin- Charlottenburg an der Kunstschule?

Bisky: Es war eine komische Situation, da ich einer der Ersten war. Für mich war klar, dass ich dahin gehe. Ich wollte eine seriöse Ausbildung an einer Kunstakademie. Dabei hatte ich sehr viel Glück. Mein Professor, Georg Baselitz, hat ein sehr klares Verhältnis zur deutschen Geschichte und eine Idee davon, wo ich herkam. Wir führten sehr offene Gespräche. Das war sehr gut. Es gab aber auch bizarre Situationen. Ich kam aus New York wieder und war immer noch der Ossi. Auch nach meinem Spanien-Jahr stellten Leute die Frage: „Wie war denn das jetzt für Sie? Sie sind jetzt wahrscheinlich das erste Mal verreist.“ Dabei hatte ich schon die halbe Welt gesehen. Ich war schon in Asien und bin durch ganz Europa gefahren. Das hat mich aggressiv gemacht.

Küchler: Sie haben früh die Erfahrung gemacht, wie ideologisch unser Blick auf Bilder sein kann. Auch wie man etwas in Bilder hineinsehen kann, was in den Bildern selbst nicht vorhanden ist. Ist Ihnen oft vorgeworfen wurden, die falschen Bilder zu malen? Jungmänner-Porträts, die angeblich an die Ästhetik von Nazi-Bildern erinnerten?

Bisky: Das ist kompletter Unsinn! Ich habe angefangen, Bilder in meinen Bildern zu verarbeiten, mit denen ich groß geworden bin. Das war der sozialistische Realismus und das war die Malerei der Russen. Ich habe mich immer sehr gewehrt, mit Nazi-Scheiß in Verbindung gebracht zu werden. Dafür gibt es mehrere Gründe: Ich lebe seit zehn Jahren mit meinem Freund zusammen. Ich komme aus einem kommunistischen Hintergrund. Ich bin Künstler. Ich wäre der Erste, den die Faschos an der Laterne aufknüpfen würden. Deshalb habe gerade ich großes Interesse, dass es keinem von diesen Idioten je wieder gelingt, auch nur in die Nähe der Macht zu kommen. Aber gleichzeitig bin ich natürlich mit meiner Geschichte und mit meiner Herkunft in die deutsche Geschichte eingewachsen. Da komme ich her. Meine Großeltern waren Nazis. Meine Eltern waren eine Zeitlang Kommunisten. Ich kann nicht so tun, als ob ich auf der grünen Wiese aufgewachsen wäre. Aber ich muss mich anders damit beschäftigen. Ich habe nicht die Möglichkeit, Bereiche so auszublenden. Es ist so eine schöne Tradition in Deutschland: Der Krieg ist beendet, und dann wird da nicht drüber gesprochen. Oder: Die DDR ist zu Ende, und jetzt wird Kaffee und Kuchen serviert. Nein, so einfach ist es nicht. Das sind sehr schmerzhafte Prozesse. Es gibt auch sehr ekelhafte, sehr schmerzhafte Erkenntnisse, nämlich zum Beispiel, dass es eben doch Parallelen gab zwischen den Diktaturen im Osten und der Diktatur der Nazis. Das ist eine grauenvolle Einsicht.

Küchler: Wir haben unser Gespräch damit begonnen, dass Ihre Bilder dunkler geworden sind, in ihre Themen zum Teil brutaler, apokalyptischer. Sie haben angedeutet, dass es neben künstlerischen Beweggründen auch ganz konkrete Anlässe dafür gab. Sie waren vor drei Jahren in Mumbai. Sie haben sich in unmittelbarer Nähe zum Terroranschlag auf das Hotel Taj Mahal aufgehalten, wo 170 Menschen ums Leben kamen. Wenige Wochen darauf starb ihr jüngerer Bruder mit nur 25 Jahren. Das sind Erfahrungen, die man nicht vergessen kann und die auch die Kunst verändern?

Bisky: Man kann es auch anders sagen. Wenn es nicht so wäre, wäre ich ein Monster. Erfahrungen wie Tod und Verlust haben mich sehr getroffen – vor allem der Tod meines Bruders. Wir haben alle nur dieses eine Leben, es vergeht sehr schnell. Alles, was man machen will, sollte man in diesem Leben schnell unterbringen. Positiv formuliert: Es gibt keinen Grund, falsche Kompromisse einzugehen. Das alles hat bei mir zu einer völligenVeränderung der Bildwelt geführt. Im Mai 2010 habe ich in Berlin eine Ausstellung gemacht. Es gab dort kein einziges Bild mit Figuren, nur menschenleere Bilder waren zu sehen.

Küchler: Aber vielleicht konnte man sich ja den Menschen hinzudenken, weil man zum Teil Dinge gesehen hat, die ein Mensch zurücklässt, die seine Welt geprägt haben?

Bisky: Wenn die Leute nicht mehr da sind, dann erst beschäftigt man sich mit den Spuren, die ein Mensch hinterlässt. Ich möchte auch noch etwas zu diesem Terroranschlag in Mumbai sagen. Ich hatte eine Ausstellung in einer Galerie, zehn Meter vom Hotel entfernt. Die Adresse der Galerie war „Behind Taj Hotel“. Mein Berliner Galerist war die ganze Nacht in diesem Taj-Hotel gefangen und musste sich da verstecken. Man kriegt in dem Moment ein anderes Verhältnis zum Terror. Wir sitzen in Mitteleuropa, zumindest hier in Deutschland, ziemlich behütet rum. Ich habe zum 11. September zynische Kommentare gehört, etwa: „Wieso, ist doch gut, wenn diese Türme da weg sind.“ So etwas würde mir nie über die Lippen kommen. Mein New Yorker Galerist war davon komplett betroffen. Wenn man so was persönlich erlebt, bekommt man ein anderes Verhältnis zum Terrorismus und dem Wahnsinn, der dahinter steckt. In Mumbai sah ich Blutspuren. In dem Hotel, in das ich mich flüchten konnte, wurden vor der Rezeption Barrikaden aus Möbeln gebaut. Wenn man so etwas erlebt hat, ändert sich der Blick auf die Realität, in der wir uns hier bewegen und in der alles so schön und nett aussieht.

Küchler: Bilder des Todes sind in unserer Gesellschaft verpönt. Das findet hinter Fassaden statt. Was wünschen Sie sich? Wollen sie aufrütteln, berühren, schockieren, mit diesen Bildern, die zum Teil Schockierendes zeigen?

Bisky: Ich möchte meine eigenen Sichtweise, meine Träume und auch Albträume auf die Leinwand bringen. Mir geht es nicht um eine pädagogische oder didaktische Wirkung, sondern ich will das nicht mehr im Kopf haben. Ich will, dass die Dinge aus meinem Kopf kommen, und wenn sie auf den Bildern gebannt sind, dann schlafe ich besser.

Küchler: „Es geht darum, das Feuer am Kochen zu halten“, haben Sie einmal in einem Interview gesagt, in dem es darum ging, dass Erfolg und auch finanzielle Anerkennung nicht die Hauptsache sind in der Kunst. Haben Sie manchmal Angst, das Feuer könnte verlöschen, irgendwann könnte die Intensität, mit der sie arbeiten, sich verlieren?

Bisky: Dann werde ich radikale Schritte unternehmen. Angst habe ich nicht. Aber ich bin mir klar darüber, dass alles was ich lebe und tue, eine Bedeutung hat. Wenn ich anfange, mich in einem hübschen spießbürgerlichen Leben einzurichten, schick essen zu gehen, Eigentumswohnung, Luxusauto – dann führt das vielleicht dazu, dass meine Bilder schlechter werden. Deshalb treffe ich diese privaten Entscheidungen. Entscheidend ist das Bild, das ich von mir habe. Ich möchte gerne, wenn ich neunzig Jahre alt bin, so sein wie mein Freund Alexander Boroffka in Kiel. Er hat unheimlich viel Energie und neue Ideen und beschäftigt sich mit dem, was er nächste Wochetun wird. Das ist eine Ebene, auf der würde ich mich auch gern bewegen. Man muss sich einfach nur trauen.

 

Norbert Bisky, geb. 10. Oktober 1970 in Leipzig, ist einerder führenden Maler des Neuen Realismus. Er wurde berühmt durch seine grafischen, teilweise an Splatter-Ästhetik angelehnten Bilder von Jünglingen – Szenen, die zwar die Jugend verherrlichen, aber auch Abgründe offen legen. Norbert Bisky ist der Sohn des Linkspartei-Politikers Lothar Bisky und der Bruder des Schriftstellers Jens Bisky. Er lebt in Berlin.