Wolfgang Packeisen, ADP Investment Management AG

Das G-20 Kommunique liefert eine enorme (positive) Überraschung (Schwellenländer verpflichten sich zu freien Wechselkursen, IMF schafft Krisen-Versicherungs-System). Zusätzlich wollen die EU-Regierungs-Chefs zur Irland-Krise eine Erklärung abgeben (vorgezogene Pressekonferenz), um das Nervenkostüm besorgter Börsianer zu beruhigen (Privatwirtschaft wird erst an Neu-Schulden nach 2013 an den Kosten beteiligt). Die tickende Zeitbombe der globalen Ungleichgewichte ist damit zwar noch nicht gänzlich entschärft, der Zünder ist aber vorerst unter Kontrolle.

Zuerst die G-20: Zwei Takte zur Vorgeschichte

Selten wurde der Zentralbank Chef einer westlichen Industrienation öffentlich derart geteert und gefedert wie Helikopter Ben Bernanke von der US Federal Reserve. Selten zuvor hat eine westliche Industriennation allerdings einen derartigen monetären Husarenritt gewagt.

Zentralbank-Kollegen weltweit, Staats- und Regierungs-Chefs, nobelpreisgekrönte Volkswirtschafts-Professoren und sogar Polit-Frauen wir Sarah Palin (Präsidentschafts-Kandidatin der Republikaner für 2012) prügeln erbarmungslos auf jenen armen Kerl ein, der nur das tut, was eigentlich Aufgabe der Finanzpolitik in Washington wäre. Der US-Kongress sieht das allerdings völlig anders und einer seiner mächtigen republikanischen Führer droht nun öffentlich damit, dem pfuschenden Chef-Fed das Handwerk legen zu wollen.

Unbedarfte Beobachter wundern sich, wie sich das Mutter-Land der globalen Reserve-Währung namens Dollar in solch eine prekäre Lage manöverieren konnte. Aufgrund mangelnder Weitsicht und Planung zaubert oder besser mogelt sich die US-Finanzpolitik schon lange um harte Strukturreformen herum. Deutschland hat sich dagegen unter dem Druck der Sozialsysteme rechtzeitig an den globalen Wettbewerb angepasst (freiwilliger Lohnverzicht). Amerika hat das zynisch belächelt und sich typisch hegemonial am Wettbewerb „vorbei pumpen“ wollen (Problem mit Verschuldung gelöst). Nun läuft das Fass über und konfrontiert die Nation mit der Einsicht, dass die US-Sozialsysteme einfach nicht für längere Phasen mit schwachem Wachstum und hoher Arbeitslosigkeit konzipiert sind.

Bernanke hat also Recht, wenn er seinen Verzweiflungsakt ruchlos auf das inner-amerikanische Problem konzentriert und die globalen Konsequenzen kratzbürstig ignoriert. Zentralbanker können keine Rücksicht auf die Außenpolitik nehmen. Wem das nicht passt, der darf seine Währung eben nicht mehr länger an den Dollar koppeln.

Verzweifelt wird überall im Ausland nach Instrumenten gefahndet, um sich gegen die Dollarflut abzuschotten. Die Dollar-Liquidität möge gefälligst im amerikanischen Inland bleiben und dort Kursgewinne, Blasen, Überschuldung, Arbeitsplätze und ähnliches provozieren statt in China oder im Dax. Typisch Hollywood Traumfabrik frotzeln die Volkswirte, wie bitte soll denn das in der Praxis funktionieren. Die Fachsimpelei über Goldstandard und Überschuss-Quoten ist dabei so unvernünftig wie die Konzept-Vorschläge zur Markt-Regulierung und Abschottung (Import-Zölle für Auslands-Kapital).

Tatsächlich sitzen alle im selben Boot auf einer gemeinsamen Reise und das ist ein höchst riskantes Experiment mit enorm ungewissem Ausgang. Die Börse versucht verzweifelt, vor der Welle zu bleiben, also irgendwie das nächste Kapitel oder besser den nächsten Akt in diesem Drama frühzeitig zu erkennen und die Konsequenzen bereits im Vorfeld richtig zu diskontieren. Das ist nicht einfach, denn Irrwege gibt es viele, Blasen sind automatisch programmiert und deren Platzen erschüttern mittlerweile fast regelmäßig das Finanz-System.

Am Rande der globalen G-20-Ideologie-Debatte meldet China überraschende starke Konjunktur-Daten. Neben robustem Wachstum steigt vor allem die Inflationsrate mit 4,5% viel schneller als erwartet. DB Research reagiert sofort und hebt die kürzlich erst reduzierte 2011 Prognose wieder an (Inflation wichtiger Sektoren wird sogar die 5 vor dem Komma haben).

Das Problem in China: Die Zinsen müssen stärker angehoben werden, als geplant. Konkret muss der staatlich regulierte Sparzins (unter 3%) über die Inflationsrate geliftet werden, wenn der permanent negative Real-Zins nicht einen ruralen Aufstand herauf beschwören soll (was dann aber noch mehr spekulatives Geld ins Land lockt).

Das Problem für den Rest der Welt: China wird zur globalen Inflations-Schleuder. In scharfem Kontrast hierzu war China während der letzten 20 Jahre die größte globale Deflations-Schleuder und ein Garant für importierte Diskont-Preise, was den Westen zu massivem Lohnverzicht gezwungen hat. Chinas Lohnerhöhungen von 20-40% entfalten ganz langsam ihre volle Wirkungskraft. Chinas Währung ist unbemerkt ebenfalls um 5% angestiegen und so dezimiert die Mischung aus Lohnanstieg + Währungsaufwertung Chinas globale Wettbewerbsposition. Das erhöht den Spielraum für Preiserhöhungen im Rest der Welt und so wird klar, warum China wie wild Rohstoffe und Wirtschaftsgüter hamstert. Heute ist alles billiger als in 12 Monaten.

Vor diesem Hintergrund hat sich der G-20 Gipfel nun folgende Formel vereinbart:

1. China (und andere) verpflichten sich zur Anpassung des Wirtschafts-Modells (mehr Konsum / weniger Export). Die drastischen Lohnerhöhungen und der tolerierte Anstieg des YUAN seit Juni sind kräftige Schritte auf dem Pfad zu mehr Konsum.

2. Weiter wurde verabredet, die Wechselkurse frei floaten zu lassen. Faktisch läuft das auf eine graduelle Abkopplung vom Dollar hinaus, womit die Dollar-Käufe der Schwellenländer sinken, was den Dollar schwächt. Nur so kann das Krebsgeschwür der globalen Ungleichgewichte geheilt werden.

3. Der IMF wird in Zukunft die Rolle des Kreditgebers für Notfälle übernehmen, was die Angst der Schwellenländer adressiert, sich in Krisen nicht finanzieren zu können. Schwellenländer haben seit dem Krisen-Chaos der 90er Jahre enorme Reserven als Schutzwall gegen zukünftige Krisen angehäuft. Diese als Bretton-Woods II bekannte Praxis wird beendet. Natürlich kann dieser Kompromiss nur graduell und nicht abrupt in die Praxis umgesetzt werden. Es bleibt trotzdem ein Meilenstein. O-Ton China: China will switch to an economic growth model driven by consumption and make it a priority to boost domestic demand, said President Hu Jintao. He added that countries that issue reserve currencies should adopt responsible policies and maintain relatively stable exchange rates. Hu supported the IMF efforts in "preventing destructive impact of large capital movement on individual economies", adding "we should build an international reserve currency system with a stable value, rule-based issuance and manageable supply".

Apropos Märkte: DB-Research prognostiziert für China jetzt zwar einen inflations-getriebenen (statt export-getriebenen) Wirtschafts-Aufschwung, Chinas Aktienmarkt ist heute aber gleich mal um satte um 5% gefallen! Soviel zur These, die Börse sei ein Instrument, um die Zukunft rational zu diskontieren. Es handelt sich eher um eine Irrfahrt.

 

 

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