Wolfgang Packeisen, ADP Investment Management AG

Skeptische Zeitgenossen sind nicht überrascht, dass die amerikanischen Konjunktur-Prognosen gesenkt werden. Bill Gross/Pimco warnt schon seit Jahren vor jenem „neuen Normal“, in dem die volkswirtschaftliche Leistung dank Überschuldung für Zins und Tilgungszahlungen draufgeht (was natürlich dem Konsum fehlt). Unfassbar ist die Naivität, mit der diese Botschaft im Land der ungebremsten Möglichkeiten jetzt unter das Volk gebracht wird, so als hätte das Schicksal aus heiterem Himmel zugeschlagen. Präsident Obama hatte den streitsüchtigen Kongress hinreichend gewarnt. Jetzt hat die Schulden-Groteske das Ungeheuer der Rating-Agenturen aus dem Tiefschlaf gerissen, die Börsen erlitten eine hysterische Panik-Attacke, das Konsum-Vertrauen fällt, geplante Ausgaben werden gestrichen, das Wachstum strauchelt.

Kurz: In Amerika droht eine Wachstums-Rezession – also eine Konjunktur-Expansion, deren Tempo nicht mehr länger steigt. Das ist ein Problem, weil die atomare US-Schulden-Bombe nur mit steigendem Wachstum entschärft werden kann. Überschuldete Volkswirtschaften reagieren auf Wachstums-Rezessionen wie ein Flugzeug auf einen Strömungs-Abriss – es gerät zuerst ins Trudeln und dann stürzt es ab.

In Amerika sind Staat, Privat- und Finanz-Sektor gleichsam überschuldet (zur Abgrenzung: diese Situation ist in der EU / Italien gänzlich anders!!). Einzig der „Nicht-Finanz“ Sektor ist kern-gesund, doch selbst dessen Erträge stammen zur Hälfte aus dem Ausland! Die „Schiefe“ bei der Einkommensverteilung hat sich mit der Krise noch verschlimmert. Staatshilfen verwandeln sich in Konzern-Gewinne, werden dort als Bar-Reserve gebunkert, für Übernahmen verplempert, in Aktienrückkäufe gesteckt und als Bonus verteilt, statt in Lohnerhöhungen oder neue Arbeitsplätze zu rauschen.

Die Volkswirte sind erschüttert: trotz der seit Jahren bis zum Anschlag ausgefahrenen Geld- und Fiskalpolitik droht der konjunkturelle „Stall“ (absterben). Die völlig schockierte Bernanke-Fed hat das nicht mal ansatzweise kommen sehen (hat den Firmen selbst im gruseligsten Szenario nicht derart viel Unvernunft unterstellt, sondern geglaubt, die Gewinne würden umverteilt). So lange die Fed den konjunkturellen Strömungs-Abriss nicht plausibilisiert, geschweige denn erläutert, wie die mit schulden-überladene Fracht-Maschine wieder auf Steig-Flug getrimmt werden kann, schießen die wüstesten Untergangs-Spekulationen ins Kraut.

Vermutlich ist der Super-Gau eingetreten. Falls die statistischen Wirtschafts-Daten nicht überraschend nach oben revidiert werden, bleibt es bei Diagnose „overkill“ (Übertreibung). Kurz: Der Grenznutzen der Schulden ist schlicht bei Null angelangt (wirkungslos). Nur so lässt sich erklären, dass die Fed seit Wochen die Wachstums-Prognose senkt und für Arbeitslosigkeit erhöht, obwohl Bernanke persönlich das Instrumentarium kontrolliert, mit der seine Prognosen in lebendige Praxis konvertiert werden müssten.

Sollte die Wirtschaft sich als immun gegen die Droge des billigen Geldes erweisen, dann hat die Geldpolitik die letzte Kugel im Lauf verschossen. Die Welt wäre Zeit-Zeuge des vermutlich spektakulärsten Versagens der Finanz-Politik (fiskal und monetär). Die Feld-Kavallerie kann von hier an nur noch monetäre Brücken bauen (die Stellung halten), bis die Fiskal-Artillerie zur Rettung anrückt. Der Kongress in Washington ist jetzt gefordert (Fiskalpolitik), denn ohne Wachstum werden die Schulden unbezahlbar – was eine Herabstufungs-Lawine beim Schuldner-Rating lostreten würde.

Washington muss handeln. Doch dieser Weg ist unglaublich dornig. Seit Monaten wird engstirnig darüber debattiert, ob die Schulden oder die Arbeitslosigkeit zu hoch sind. In der Praxis würden neue Schulden die Rating-Agenturen aufscheuchen. Die Republikaner würden lieber zahlungsunfähig werden, als Steuererhöhungen zu tolerieren. Zyniker raten Obama deshalb, Steuer-Senkungen vorzuschlagen, um die Republikaner aus der Reserve zu locken (unter Kompromisszwang zu setzen). In Washington geht Ideologie vor Pragmatismus, die Folge sind Polarisierung und Paralyse. Auf den ersten Blick sieht die Lage desolat aus – und das verursacht ein Kursgemetzel an der Börse (völlig gespenstisch, dass Staatsanleihen gehortet werden und der Dollar steigt).

Tatsächlich sind die leicht verdaulichen Heil-Mittelchen ausgeschöpft. Jetzt droht der Giftschrank. Alle dort schlummernden Optionen sind grauenhaft. Diesmal wird es nicht ohne fürchterliche „Verlierer“ abgehen. Die Spezialisten für solche Operationen stehen schon lange (im Hintergrund) parat. Die Instrumente sind hinlänglich bekannt, können aber erst eingesetzt werden, wenn die Politik den Weg frei gibt. Der Börsen-Crash dient als Steil-Vorlage, um dem Wähler bittere Pillen zu verpassen. Die Arbeitslosigkeit wird langfristig hoch bleiben, weil das Geld für neue Arbeitsplätze fehlt. Der Schlachtplan ist brutal:

1.) Amerika braucht einen Schuldenerlass für Geringverdiener, bei denen jeder Cent von Zins- und Tilgung aufgefressen wird, was nichts für Konsum übrig lässt.

2.) Das muss flankierend von einer Entschuldung der Finanz-Wirtschaft begleitet werden, weil sonst die Kreditvergabe erstarrt.

3.) Finanziert wird das Ganze mit einer bundesweiten Mehrwertsteuer (grundlegende Steuerreform), weil allein der Firmen-Sektor ausreichend robust ist, um diese Belastung zu verkraften.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Es ist beileibe nicht so, dass das System nicht repariert werden kann. Dazu muss aber jemand über seinen eigenen Schatten springen.

Die hoch emotional ausgetragene ideologische Debatte über Lösungen nach John Maynard Keynes (Dirigismus) oder Friedrich Hayek/Milton Friedman (Marktwirtschaft/Monetarismus) zeigt, dass Amerika vermutlich noch eine Weile braucht, bis pragmatisch statt dogmatisch gehandelt wird. Tatsächlich gibt es weder eine Befreiung noch eine vorzeitige Entlassung aus dem Schulden-Knast.

Die Schlüsselfrage lautet: Bringt die internationale Gläubiger-Gemeinde die notwendige Besonnenheit auf und gelingt es der Fed, eine monetäre (Vertrauens-) Brücke zu bauen, bis Amerika sich neu sortiert? Sollte der Börse der Kragen platzen, dann geht der Ärger erst richtig los!

Italien will die bislang nur kolportierten Beschlüsse bereits heute Nacht verkünden. Hier sieht man, wozu Politik fähig ist, wenn blanke Panik herrscht. Alte Weisheit: In der Not frisst selbst der Teufel Fliegen!

Apropos: Auf die Frage an einen führenden US-Republikaner, warum die Partei heute Nacht das Thema Steuern auf die Agenda genommen habe, lautet seine Antwort: die Börsenkurse lassen uns kein andere Wahl.

 

 

 

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