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- 17. März 2010
von Jörg Berens, Kolumnist "Das Kapital" FTD, 15.03.2010:
Die Briten meinen, dass wir jetzt endlich mal auf den Putz hauen sollen, damit sie mehr exportieren können. Aber was sollen wir denn bei ihnen kaufen? Industriegüter? Käse, Schinken und Wein?
Wie es sich für ein Debakel gehört, müssen für die Weltwirtschaftskrise Sündenböcke her. Und wie immer in solchen Fällen poltern jene am lautesten, die am meisten auf dem Kerbholz haben. Nehmen wir die Vorwürfe aus Großbritannien in Richtung Japan und besonders gegen China und Deutschland. In einem Anflug wettbewerbspolitischer Selbstkasteiung hätten diese Länder die angelsächsischen oder die Mittelmeernationen mit Gütern samt ihrer Finanzierung überflutet, heißt es, und zur Strafe müssten die Missetäter nun ihre Nachfrage erhöhen, um den Musterknaben Exportwachstum zu bescheren.
Na gut, vielleicht hätten wir die Arbeitslosigkeit, die sich seit der Wiedervereinigung im Mittel auf zehn Prozent beläuft und Anfang 2005 auf zwölf Prozent gestiegen war, besser mit noch höheren Staatsdefiziten und noch niedrigeren Leitzinsen bekämpft. Aber was sollen wir denn aus Großbritannien kaufen? Industriegüter? Käse, Schinken und Wein? Oder vielleicht die Dienste von Hegde-Fonds, damit die dann Daimler unter Druck setzen, das Lkw-Geschäft zu verhökern?Aktienanalysten, die BMW vorschreiben, endlich an Forschung und Investitionen zu sparen? Private-Equity-Leute, die hiesige Traditionsfirmen auslutschen? Fusionsberater, die den Konzernen überflüssige Übernahmen in Amerika aufschwatzen? Devisenhändler, die den Euro attackieren? Rohstoffexperten, die Öl bei 150 $ je Fass zu kaufen raten? Oder doch eher Kreditderivatespezialisten, die auf die Pleite Griechenlands wetten?
Nein, es sind nicht die Deutschen schuld, dass Großbritannien in seiner Dienstleistungsversessenheit auf einen Sektor gesetzt hat, der in seiner Aufgeblasenheit nun Unheil über die Welt bringt. Schon gar nicht sind wir schuld, dass es dort zu wenige Ingenieure, Techniker und Facharbeiter gibt, die konkurrenzfähige Waren herstellen und ihr Wissen an den Nachwuchs weiterreichen.
In den USA klagen Firmen wie Boeing jetzt noch über Fachkräftemangel - bei einer Unterbeschäftigungsquote von 17 Prozent. Dafür können Chinesen und Deutsche wenig. Auch waren es nicht sie, die den realen US-Leitzins in den ersten zehn Jahren des neuen Jahrhunderts auf 0,4 Prozent gesetzt und dabei Sparquote, Leistungsbilanz, Schulden und Blasen beharrlich ignoriert haben.
Und was sollen wir tun? Dermaßen auf den Putz hauen, dass wir in zehn Jahren wie Großbritannien dastehen? Denn im Grunde lautet die Forderung, dass wir den westlichen Überkonsum nun fortsetzen sollen. Bloß sind wir keine Planwirtschaft. Niemand kann Bosch vorschreiben, die Löhne zu erhöhen, und niemand kann den Verbrauchern vorschreiben, ihre Einkommen auszugeben. Der Staat ist vielleicht nicht ganz so pleite wie in anderen Ländern, aber ziemlich pleite. Er läuft auf Schulden von 90 Prozent des BIPs zu, obwohl laut Uno die Zahl der 16- bis 65-Jährigen bis 2050 um 29 Prozent sinken und die Zahl der über 65-Jährigen um 36 Prozent zunehmen soll.
Den hiesigen Verbrauchern, die nach der Immobiliensause in den 90ern mit 96 Prozent des verfügbaren Einkommens in der Kreide stehen und die sich in der Krise übrigens als stabilisierendes Element erwiesen haben, zu empfehlen, die Sparquote zu reduzieren, müsste da auf sie wirken, als würde man sie zu Altersarmut verdammen. Bleiben die nichtfinanziellen Firmen, die Verbindlichkeiten von 95 Prozent des BIPs aufweisen. Sie können sich ja mal generös zeigen, Löhne anheben, Aufwendungen für Entwicklung oder Vertrieb erhöhen. Dann liefe eine Horde von britischen Finanzexperten Amok.
Das soll nicht heißen, dass wir nichts tun können. Wir könnten hohe Einkommen stärker belasten, um niedrige zu entlasten und dringend benötigte Ausgaben vor allem für Bildung finanzieren zu können. Wir könnten unsere Produktmärkte entrümpeln, damit die Verbraucher faire Preise für Strom, Medikamente, Kommunikation, Notare oder Statiker zahlen; das käme einer veritablen Steuersenkung gleich und brächte Schwung in den Binnenhandel.
Wir könnten den Kündigungsschutz lockern, um die Menschen aus der Zeitarbeitsknechtschaft zu befreien. Wir könnten die rechtlichen Grundlagen dafür schaffen, dass die Transferleistungen tatsächlich gestrichen bekommt, wer sich zumutbarer Arbeit verweigert. Gewiss sollten wir auch eine regelrechte Kampagne starten, um den grassierenden Kleinmut und die Geizmentalität zu überwinden, die der Lebensqualität in diesem Lande so abträglich sind. Aber was wir auch tun: Wir können uns höchstens selber helfen, nicht jedoch der ganzen Welt.