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- 09. Juni 2011
Wer mit dem wirtschafts-politischen Schicksal in Europa hadert (Schuldenkrise, Euro in Gefahr), der sollte mal den Chef der US-Fed fragen. Kaum deutlicher konnte Bernanke gestern formulieren, in welch beklemmende Situation Amerika sich manövriert hat. Es bleibt nur noch wenig Zeit, bis am 2.August das gesetzlich verankerte “Debt-Ceiling” ausläuft (Schulden-Obergrenze). Wie verzweifelt muss ein Fed-Chairman sein, wenn er kurz vor einem politisch derart wichtigen Termin einen fast schon grotesken Appell an die Tagespolitiker richtet:
Das Expansions-Tempo der US-Wirtschaft sei frustrierend gering (Fed sei enttäuscht) – die Fed hoffe auf deutlich besseres Wachstum im 2. Halbjahr – Null-Zinsen seien b.a.w. völlig unabkömmlich – und “fiscal austerity” (Sparpolitik) sei zum jetzigen Zeitpunkt absolut fatal (bis der Arbeitsmarkt auf festeren Beinen steht).
Damit fährt er den oppositionellen Republikanern, die einen radikalen Sparkurs fordern, so volles Rohr in die Parade, wie dem demokratischen Finanz-Minister, der öffentlich bekundet, dass Amerika einen starken Dollar will. Während die gesamte Welt zur Schulden-Konsolidierung drängt, warnt die Fed vor den katastrophalen Folgen dieser Idee. Man darf gespannt sein, wem die Politik gehorcht, wie die amerikanischen Rating-Agenturen darauf reagieren (müssen / können / wollen), um nicht zum Gespött der Kapitalmärkte zu werden – und was die globale Anleger-Gemeinde darauf antwortet.
Am Ende von Bernankes Vortrag nutzte der anwesende Jamie Dimon, Chef des Wall-Street-Riesen JPMorgan-Chase die Gelegenheit für einen öffentlich vorgetragenen Frontal-Angriff und fragte, ob das Wirtschafts-Wachstum in Wahrheit nicht durch die völlig übertriebenen Banken-Reform-Eifer der Fed abgewürgt werde. Bernankes furchtbare Retour-Kutsche: Kleine regionale Banken sind viel härter betroffen als die großen (jammernden) Wall-Street-Firmen, die Fed habe alles in ihrer Macht stehende unternommen, um größeren Schaden zu vermeiden (alle toxischen Assets aufgekauft), aber die schrecklichen regulatorischen Versäumnisse müssen nun mal korrigiert werden und daran führe kein Weg vorbei. Basta.
Navigations-Hilfe für Portfolio Manager:
Grundsätzlich müsste Amerika dem Beispiel der EU folgen und die Schulden kappen, was natürlich Wachstum kostet. Doch genau das lehnt die Führungs-Elite der größten Industrie- Nation der Welt mit geradezu ideologisch verbrämter Sturheit ab, obwohl der Staat weder monetäre noch fiskale Kugeln im Lauf hat (policy tools are completely maxed out!). Vermutlich wird der Kapitalmarkt die Politik mit einem Donnerschlag zur Räson zwingen müssen. Die wirkliche Frage lautet daher: Reicht ein reinigendes Sommer-Gewitter aus oder provoziert Washington am Ende einen fürchterlichen Herbst-Orkan?
Abstrakt:
Die relative Ruhe an den Finanzmärkten lässt einem Portfolio-Strategen etwas Spielraum für grundsätzliche Überlegungen. Wer die taktische Asset-Allokation weder aus dem Bauchgefühl heraus noch per Wurf mit der Münze entscheidet, der steht vor folgender Herausforderung: Seit dem Ausbruch der Finanzkrise wurde global bislang herzlich wenig verändert. Konkret wurde das Finanz-System mit Liquidität überflutet, um es zu stabilisieren. Reduziert wurden die Schulden bislang aber nicht. Im Gegenteil. Kumulativ (inkl aufgelaufener Zinsen) sind sie heute größer als je zuvor, der Berg wird nur dauernd verschoben.
Mit diesem Hintergrund ist das globale Finanz-System also noch genau eine einzige Rezession weit weg von einem epischen Debakel (mit sinkenden Steuer-Einahmen fällt die Schuldendienst-Fähigkeit). Das systemische Risiko ist nur zu beherrschen, wenn der aktuelle Aufschwung lange genug andauert, aber genau danach sieht es zumindest in Amerika nicht wirklich aus.
Empirische Analysen zeigen, dass ein Konjunktur-Zyklus durchschnittlich 30 Monate dauert (max 39 Monate/Quelle DB-Research). Im Dezember wären 30 Monate voll. Der nächste zyklische Abschwung könnte ab Mitte 2012 volle Fahrt aufnehmen und die Börse diskontiert das Ganze bereits 6 Monate vorher. So betrachtet ist es an der Zeit, sich Gedanken über den Ausblick für das 2. Halbjahr zu machen.
Es gibt tatsächlich einen Königs-Weg aus der Schulden-Spirale und wir vermuten, dass es nicht mehr lange dauert, bis es zum Schulterschluss kommt: „financial represssion“ ist das Zauberwort für einen Vorgang, der jene globale Schuldenorgie, die den Börsencrash 1929 verursacht hat, ultimativ repariert hat. Konkret beherrschte jene Phase der Finanz-Repressalien damals knappe 40 Jahre das Geschehen (1930-1970). Wer sein Vermögen seinerzeit in Staatsanleihen investiert hatte, der war im Resultat am Ende um knapp die Hälfte ärmer.
Markenzeichen der „Finanz-Repression“ ist die staatliche Auflage, große Teile der Privat-Vermögen zur Anlage in Staats-Anleihen zu vergattern (wo sanfter Druck das Ziel verfehlt, da werden Gesetze verabschiedet), wie das aktuell bei Griechenland der Fall ist. Hinter der „Wiener“ Umschuldung im Vergleich zur Variante „Uruguay“ oder „Argentinien“ versteckt sich ein semi-offizielles Stillhalte-Abkommen zwischen Staat und Kapitalmarkt, bei dem Pensionskassen, Versorger, Staats-Fonds, Zentralbanken, Versicherer und Banken quasi „freiwillig“ eine Portion der Portfolios/Bilanzen permanent in der Form von Staatsanleihen halten.
Dieser Mechanismus der Laufzeit-Streckung verhindert den juristischen Credit-Default (Domino-Effekt am Kapitalmarkt, wenn Unmengen von Credit Default Swaps wie im Falle AIG, Lehmann, Bear-Stearns schlagartig fällig werden). Die Lasten werden faktisch vom Staat zurück an die Privat-Wirtschaft transferiert (freiwillig?), wenn auch ohne Zustimmung der Rentner, Pensionäre, Witwen und Waisen. Besonders sanft ist diese Variante, weil (politisch unbeliebte) Steuer-Erhöhungen vermieden werden (Schulden von heute sind Steuer-Einnahmen von morgen).
Apropos:
Wir bleiben trotz aller Unkenrufe am Kapitalmarkt konstruktiv gestimmt, denn Bernanke hat den Faktor Zeit auf seiner Seite. Obwohl der Nominal-Zins bei Null ist (nicht mehr gesenkt werden kann), der Fiskal-Spielraum für weitere Schulden ausgeschöpft ist und kein Politiker dafür stimmen würde, ist die Lage noch nicht prekär. Elementar für die Wirtschaft (in scharfem Kontrast zum Sparer) ist der Real-Zins (nicht der Nominal-Zins) – und der fällt (selbst wenn der Nominal-Zins nicht unter Null fallen kann), solange die Inflationsrate steigt!
Nur einmal in der Geschichte (1980) war der Realzins mit -3% so niedrig wie heute (Nominal 0% abzüglich Inflation 3%). Die Fed braucht also tatsächlich nur etwas Zeit (10, 20, 30 Jahre) um der Schulden-Spirale zu entkommen. Dafür gibt es in der Geschichte unzählige Beispiele.
Deutsche Überraschung
Die Welt räkelt sich ähnlich wie im Sommer 2007 in einer robust-globalen Wirtschafts-Lage, während sich im Finanz-System ein Gewitter zusammen braut (bekanntlich wurde der Wirtschafts-Crash durch die Finanzkrise ausgelöst und nicht umgekehrt). Beispiel: In Amerika wird die Tonlage am Vorabend des „Debt-Ceilings“ immer schriller , in der EU sorgt Deutschland plötzlich für Aufruhr, die OPEC ist sich uneinig und in den Emerging Markets werden die Zinskurven „invers“ (Indien, Brasilien). Die zunehmende Unsicherheit (its all about confidence) ist hüben wie drüben rein politischer Natur.
Als wollte ein gut präparierter Finanz-Minister Schäuble seinem Vorgänger Peer Steinbrück in die Kanzler-Kandidatur-Parade fahren, hat er einen “offenen” Brief verschickt (Steinbrück hatte mit einem aufsehenerregend staatsmännischen Auftritt die Regierung scharf attackiert / längst überfällige Griechenland-Umschuldung werde von Kanzlerin Merkel verdattelt).
Die aufgeschleckten Börsen rätseln, warum Deutschland so kurz vor 12 (Gipfeltreffen der Staatschefs) plötzlich eine Position vertritt, die weit über das faktisch bereits ausgehandelte “Vienna-Style” Abkommen hinaus geht und exakt auf Steinbrück-Linie (große Koalition??) eine Umschuldung für Griechenland fordert, was von der Troika (EU, EZB, IMF) bislang vehement abgelehnt wird. Die politische Kehrtwende kommt nicht von ungefähr (gefährliche Unruhe in der Koalition), was die Börsen aber völlig auf dem falschen Fuß erwischt. Unklar bleibt, wie die Reaktion ausfällt (panic now or panic later).
8. Juni (Bloomberg) -- Schäuble will Bondbesitzer ‘substanziell’ zur Kasse bitten
Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble fordert einen “substanziellen Beitrag” der Inhaber griechischer Staatsanleihen am zweiten Hilfspaket für das Land. Im Gegensatz zur Position der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank sprach er sich für einen Anleiheumtausch aus, der von den Ratingagenturen als Zahlungsausfall eingestuft werden könnte. In einem Brief an EZB-Chef Jean-Claude Trichet und die anderen Finanzminister der Euro-Zone erklärte Schäuble am 6. Juni . . . . der Prozess der Verhandlungen mit den Gläubigern müsse “zu einem quantifizierbaren und substanziellen Beitrag der Besitzer griechischer Anleihen führen, der über eine reine Initiative Wiener Art hinausgeht”. Das Wiener Initiative genannte Maßnahmenpaket war 2009 eine wesentliche Säule der vom Internationalen Währungsfonds geführten Stützungsmaßnahmen für Ungarn, Rumänien, Lettland und Serbien inmitten der globalen Finanzkrise. Gemäß dem Plan hatten Banken öffentlich zugesagt, ihre Sparten in diesen Ländern liquide zu halten und wenn nötig frisches Kapital einzuschießen. Die deutsche Position steht im Gegensatz zum Standpunkt von Vertretern der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank. Diese äußerten sich ablehnend gegenüber Vorschlägen, die über einen freiwilligen Umtausch bestehender Anleihen hinausgingen und auf den ersten Zahlungsausfall in der Geschichte der Euro-Zone hinauslaufen könnten. Fitch Ratings erklärte, wenn Anleihegläubigern bei einem Bondtausch schlechtere Konditionen angeboten würden, würde dies einen Zwangsumtausch darstellen und somit als Zahlungsausfall eingestuft.
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